Cover
Titel
Preußendämmerung. Die Abdankung der Hohenzollern und das Ende Preußens


Herausgeber
Biskup, Thomas; Vu Minh, Truc; Luh, Jürgen
Reihe
Kulturgeschichte Preußens – Colloquien 8
Erschienen
Anzahl Seiten
140 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annelie Große, Zentrum Preußen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die Aufsatzsammlung „Preußendämmerung“ entstand im Kontext des 2018 stattgefundenen 100-jährigen Jubiläums der Novemberrevolution und des Untergangs der Monarchie in Deutschland.1 Sie bündelt einen Teil der Beiträge, die auf einer gleichnamigen, durch das Research Center Sanssouci organisierten Tagung vom 26.–27. Oktober 2018 im Potsdamer Museum Barberini stattgefunden hat.

Der Untersuchungsgegenstand, den die versammelten Beiträge aus verschiedenen Perspektiven betrachten, ist – wie der Titel suggeriert – das langsame Ende Preußens, jedoch nicht aus politik- und verfassungsgeschichtlicher, sondern aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Chronologisch liegt der Fokus der meisten Beiträge auf der Zeit zwischen der Abdankung Kaiser Wilhelms II. 1918 und der Auflösung des Freistaats Preußen durch den Alliierten Kontrollrat 1947 (nur die letzten beiden Aufsätze verfolgen das Erbe Preußens und seiner Herrscher bis in die Gegenwart). Inhaltlich befassen sich die Aufsätze fast ausschließlich mit der Hohenzollerndynastie (Ausnahmen bilden die Beiträge von Alexander Gallus und John Zimmermann). Probleme, die sich aus der Formulierung des Untersuchungsthemas ergeben, und die auch auf der Tagung thematisiert worden sind, liegen einerseits in dem nicht immer trennscharfen Unterschied zwischen Dynastie und Staat, und andererseits in der Frage ob und wie sich Preußen und das preußische Königtum seit der Reichsgründung 1871 kulturell fassen lassen. Alles in allem erfüllt der Band sein Ziel, „in den derzeitigen gesellschaftlichen Debatten zur Diskussion an[zu]regen“ (S. 19), auch wenn wichtige Aspekte wie das Erbe Preußens in seinen westlichen Provinzen und der Vergleich mit anderen 1918 aufgelösten deutschen Monarchien leider unbeachtet bleiben.

Alexander Gallus beschäftigt sich mit der „vergessenen Revolution“ von 1918/19 und versucht die verschiedenen zeitgenössischen und modernen Interpretationen des Übergangs vom Kaiserreich zur Weimarer Republik miteinander in Einklang zu bringen. Er selbst präferiert den Ansatz des „langen Novembers“, um diesen Übergang zu charakterisieren, wodurch er sowohl die im Kaiserreich und im Weltkrieg liegenden Wurzeln des Umbruchs als auch den von den Novemberereignissen befeuerten Ausbruch neuer politischer Konfliktlinien (innerhalb der Linken aber auch zwischen Linker und neuer völkischer Rechter) zusammenbringen kann. Seiner Meinung nach gab es eine Kontinuität zwischen „ambivalent modernem“ Kaiserreich und parlamentarischer Demokratie, die unter anderem die (zunächst) relativ friedliche Natur der Aufstände und das Ausbleiben einer grundlegenden Umwälzung im November 1918 erklärt.

Benjamin Hasselhorns ideengeschichtlich orientierter Beitrag stützt sich auf die historischen, theologischen und autobiographischen Publikationen Wilhelms II. im holländischen Exil und betrachtet diese Publikationen als Mittel von Wilhelms Selbstrechtfertigung seiner Regierung sowie seiner Abdankung und Flucht im November 1918. Dabei konzentriert sich Hasselhorn auf die Idee des Opfertodes des Königs, eine Idee mit der sich Wilhelm II. nicht nur in den 1920er- und 1930er-Jahren im Exil auf kulturwissenschaftlicher Ebene beschäftigte, sondern die ihn offenbar auch sehr konkret kurz vor Kriegsende bewegte. In seinen Memoiren stellte Wilhelm seine Flucht als eine vergebliche Opfergabe an sein Volk dar. Auf die Interpretation dieser Äußerung sowie auf eine Analyse von Wilhelms später Abkehr von der Idee des Gottesgnadentums stützt sich Hasselhorns Befund, dass Wilhelm seit den 1920er-Jahren Gedanken an eine Rückkehr auf den Thron aufgegeben habe (S. 47). Die komplexe Frage der Reinthronisierungsbestrebungen der Hohenzollern wird dadurch jedoch nur einseitig betrachtet.

Einen erfrischenden Perspektivenwechsel, weg von dem in der Aufsatzsammlung dominanten Interesse an den Herrschenden, bietet Truc Vu Minhs Rekonstruktion der Situation der Hofbediensteten nach dem Zusammenbruch. Anhand von aus den Akten des preußischen Finanzministeriums zusammengetragenen anschaulichen Beispielen vermittelt sie das Potenzial dieses unerforschten Themas und deutet spannende Fragen an, wie zum Beispiel nach der sozialen Zusammensetzung der Hofdienerschaft. Minhs Hauptargument, wonach die niederen Hofangestellten gegenüber den oberen, meist adeligen Hofbeamten und Hofchargen bei der Gewährung von Versorgungsleistungen benachteiligt worden wären, fordert jedoch mehr Differenzierung. Um die als desolat bezeichnete Lage der unteren Dienerschichten zu kontextualisieren, wären Vergleiche mit den oberen Bedienten und gegebenenfalls auch mit vergleichbarem Personal aus Staatsdienst oder „freier Wirtschaft“ notwendig. Um die Bedeutung des politischen Umbruchs in der Versorgung der Dienerschaft zu beurteilen, müssten weiterhin die im 19. Jahrhundert entstandenen Gehalts- und Pensionsnormen in der Staats- und der Hofverwaltung herangezogen werden.

Der umfangreichste Aufsatz des Bandes ist von Karina Urbach, deren Monographie zu den informellen diplomatischen Diensten deutscher Hochadeliger für die Nationalsozialisten vor fünf Jahren große Aufmerksamkeit erfuhr.2 In ihrem Tagungsbeitrag wendet sie das von ihr in jener Monographie etablierte Konzept hochadeliger, international vernetzter Go-betweens auf die Hohenzollern und ihre von Restaurationsbestrebungen getriebenen Vermittlungsdienste zwischen den Nationalsozialisten und US-amerikanischen Eliten an. Sehr ausführlich rekonstruiert sie die bisher unerforschten engen Beziehungen des Kaiserenkels und bislang in der Nähe des konservativen Widerstands verorteten Louis Ferdinand zu den Antisemiten Henry Ford und Poultney Bigelow sowie seine Sympathien für die Nationalsozialisten (S. 73–84). Die Darstellung von tatsächlich durch die Hohenzollern vermittelten Kontakten zwischen Nationalsozialisten und ausländischen Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft kommt zwar etwas kurz, jedoch bietet Urbachs Analyse von Korrespondenzen, Zeitungsartikeln und Memoiren tiefe Einblicke in die Verehrung des nationalsozialistischen Programms durch Mitglieder dreier Generationen von Hohenzollern sowie deren Antisemitismus und Antikommunismus. Damit ergänzt ihr Beitrag die Einschätzungen Stephan Malinowskis und Peter Brandts aus dem Jahr 2014 zur unterstützenden Rolle der Hohenzollern beim Aufstieg der Nationalsozialisten, die in den im Sommer 2019 publik gewordenen Entschädigungsforderungen des Hauses Hohenzollern gegenüber der Bundesrepublik und den Ländern Brandenburg und Berlin von äußerster Aktualität sind.3

Die letzten drei Aufsätze des Bandes beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Bild Preußens und/oder der Hohenzollern in Vergangenheit und Gegenwart.

Jürgen Luh konzentriert sich auf die von der Geschichtswissenschaft generierten Bilder von den Hohenzollern und reißt damit ein Thema der Preußenforschung an, das jüngst wieder ausführliche Aufmerksamkeit erfahren hat.4 Luh fragt nach der Bedeutung, die der Untergang der Monarchie auf die Historiographie zu den Hohenzollern bis 1947 hatte. Dabei stellt er den langanhaltenden und über die Zäsur von 1918 hinausgehenden Einfluss des im 19. Jahrhundert geprägten Borussismus in der Geschichtsschreibung heraus, dessen Hauptmerkmal die Glorifizierung Preußens und seiner Herrscher innerhalb eines teleologischen Narrativs über die Entstehung des „deutschen Machtstaates“ war. Luhs Analyse macht zwar deutlich, dass die pro-hohenzollernsche Historiographie nach 1918 einen signifikanten quantitativen und qualitativen Rückgang erlebte. Jedoch kommt er zu dem Schluss, dass der Borussismus in der Historiographie auch nach 1945 nachwirkte.

Nicht mit dem Bild der Hohenzollern, sondern mit dem Preußenbild beschäftigt sich John Zimmermann. Sein Aufsatz dehnt den chronologischen Rahmen des Tagungsbandthemas aus, indem er die vieldiskutierte ambivalente Wahrnehmung Preußens seit 1945 bis heute betrachtet. Sehr anschaulich beschreibt er das Preußenbild von Historiker/innen, Politiker/innen und Journalist/innen sowie in der Populärkultur, wobei eine genrespezifische Kontextualisierung der verschiedenen Darstellungen wünschenswert gewesen wäre. Nicht neu ist der Befund, dass das Preußenbild des 20. Jahrhunderts geprägt worden ist von dem durch die Alliierten bei der Auflösung Preußens 1947 verhängten Verdikt, nachdem Preußen „seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland“ gewesen sei. In Zimmermanns Sicht ist der Begriff des preußischen Militarismus jedoch von Unschärfe gekennzeichnet und beruhte auf subjektiven Wahrnehmungen der damaligen politischen Akteure. Zimmermanns Betrachtungen reihen sich ein in ein aktuelles Interesse der Preußenforschung zu Preußen-Diskursen.5

Auch Samuel Wittwers Aufsatz verfolgt die „Preußendämmerung“ bis in die Gegenwart. Als Kunstwissenschaftler und Direktor der Abteilung „Schlösser und Sammlungen“ der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) konzentriert er sich auf die museale Präsenz der Hohenzollernfamilie in den Museumsschlössern der SPSG. Wie er zeigt, erfolgte die „Rückkehr“ der Hohenzollern in die Museumsschlösser mit großer zeitlicher Distanz, nämlich erst seit den 1980er-Jahren (befeuert durch die große Preußenausstellung im Berliner Gropiusbau von 1981), seitdem jedoch vermehrt. Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung scheint die im November 2018 eröffnete neue Dauerausstellung zur Dynastiegeschichte im Schloss Charlottenburg zu sein, die die SPSG als eine Art „integriertes Hohenzollernmuseum“ begreift. Gerade diese Ausstellung ist offenbar Streitobjekt in den erwähnten Auseinandersetzungen des Hauses Hohenzollern mit der Bundesrepublik Deutschland (BRD), in denen die Dynastie unter anderem Deutungshoheit über die museale Präsentation ihrer Geschichte verlangt6, ein Aspekt, den Wittwer jedoch nicht thematisiert.

Den Abschluss des Tagungsbandes bildet die online abrufbare Videoaufzeichnung der von Thomas Biskup moderierten Roundtable-Diskussion zwischen der Direktorin des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) Ulrike Höroldt, dem 2018 eingesetzten Generalintendanten des Humboldt Forums Berlin Hartmut Dorgerloh und dem Kulturredakteur des Tagesspiegels Bernhard Schulz. Diskussionsgegenstand war vor allem Preußens Rolle in der Erinnerungskultur der Gegenwart. Dabei herrschte unter den Diskutant/innen Einigkeit, dass das Erbe Preußens heute vor allem in seinen baulichen Hinterlassenschaften besteht. Im Lichte von Wittwers Beitrag erscheint es jedoch seltsam, wenn Dorgerloh und Schulz betonen, dass kaum öffentliches Interesse an den verstorbenen Hohenzollern oder gar an Preußen herrscht. Einen wichtigen Hinweis in der Debatte um Preußens Erbe gab Ulrike Höroldt den Anwesenden mit, nämlich die verschiedenen Preußenbilder anhand des zugänglichen Archivmaterials zu überprüfen.

Am Ende der Diskussion (und des ganzen Tagungsbandes) steht der Befund, dass weder Preußen – als kulturelles Konzept – noch die Hohenzollern – als weiterbestehende und Zugriff auf ihr Erbe fordernde Dynastie – ein Ende gefunden haben. Gerade mit Blick auf das rege öffentliche Interesse, das die Verhandlungen der Hohenzollern mit dem Bund und den Ländern Brandenburg und Berlin gegenwärtig hervorrufen, wird deutlich, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der preußischen Monarchie vorangetrieben und vor allem auch einem breiteren Publikum vermittelt werden muss.

Anmerkungen:
1 Exemplarisch für weitere Erscheinungen anlässlich des Jubiläumsjahres: Lothar Machtan, Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht, Paderborn 2018; Robert Gerwarth, Die größte aller Revolutionen. November 1918 und der Aufbruch in eine neue Zeit, München 2018.
2 Karina Urbach, Go-betweens for Hitler, Oxford 2015. Unter anderem rezensiert von Eckart Conze, in: H-Soz-Kult, 03.02.2016, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-23304 (11.08.2020).
3 Alle Gutachten sind einsehbar unter http://hohenzollern.lol/#gutachten (11.08.2020).
4 Siehe Wolfgang Neugebauer, Preußische Geschichte als gesellschaftliche Veranstaltung. Historiographie vom Mittelalter bis zum Jahr 2000, Paderborn 2018.
5 Siehe Hans-Jürgen Bömelburg / Andreas Lawaty (Hrsg.), Preußen. Deutsche Debatten 18.–21. Jahrhundert. Eine Anthologie, Stuttgart 2018.
6 Siehe https://www.tagesspiegel.de/berlin/ansprueche-auf-tausende-bedeutsame-kunstwerke-dem-prinzen-geht-es-um-das-bild-seiner-vorfahren/24588740-2.html (11.08.2020).

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